Die Deutschsprachigen haben eine Vielfalt an Möglichkeiten, wenn es um das Entscheiden geht. Es geht schon damit los, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie eine Entscheidung treffen oder zu einer Entscheidung kommen wollen, ob sie eine Entscheidung finden oder ob sie lieber fällen wollen.
Vielleicht sind sie auch schon entschieden, dann fällt das Wählen flach.
In anderen Sprachen scheint eine Wahlmöglichkeit weniger bis nicht gegeben. Ob sich das auf eine Kultur auswirkt, ob ich, bevor ich von der Entscheidung sprechen kann, erst mal entscheiden muss, was es denn jetzt nun genau mit dieser auf sich hatte oder haben wird, während andere eine Entscheidung einfach nur machen können oder nehmen müssen?
Man findet zu keiner Entscheidung. Tausend Irrwege geht man und stolpert durch ein Labyrinth, steckt in der Sackgasse und hat das Gefühl, man dreht sich im Kreis. Stößt immer wieder auf die selben Hindernisse. Aber die Entscheidung versteckt sich und will ums Verrecken nicht gefunden werden.
Aber wenn sie doch nun mal her muss? Dann ist vielleicht das Suchen und Finden wollen kein guter Ratgeber.
Im Deutschen „treffen“ wir meistens Entscheidungen. Klingt irgendwie erst mal nett. Ich hatte ein Rendezvous mit meiner Entscheidung, vielleicht war’s auch ein blinde date oder ein Treffen mit alten Bekannten, guten Freunden oder aber mit unangenehmen Typen — ein willkommenes oder unwillkommenes (Wieder-)Sehen. Im übertragenen Sinne könnte hier von Entscheidungen die Rede sein, in die man entweder kopflos reingestolpert ist oder die man immer wieder falsch zu treffen scheint, vom stecken bleiben in alten Gewohnheiten — ob aus Bequemlichkeit, Überzeugung oder fehlenden Alternativen — aber auch von der Entscheidung, sich unangenehmen Pflichten zu stellen.
Treffen. Wo trifft man die denn? Wo treiben die sich denn herum? Und will man die überhaupt immer treffen? Vielleicht will man denen gar nicht zu Nahe kommen.
Ist es am Ende reiner Zufall, ob man eine trifft? Und treffen die auf mich oder treffe ich auf sie? Wollen wir überhaupt etwas miteinander zu tun haben? Am Ende nähern wir uns vielleicht auch einander an? Hier scheint der Kompromiss aufs Tapet zu kommen.
Treffen benötigt also die Zustimmung von zwei Seiten, es ist Zufall oder kalkulierte Wahrscheinlichkeit — also ganz und gar nicht unabhängig.
Aber wenn mir die Entscheidung zufällt, sie sozusagen überraschend in mein Haus einfällt, einfach und eindeutig, ein unwiderstehliches Angebot, das ist auch mal schön.
Vielleicht hat das Treffen einer Entscheidung auch etwas Willkürliches. Es ist mal das eine oder das andere. Spielt vielleicht auch gar keine große Rolle. Es ist nicht so bedeutend, ob ich heute Reis oder Nudeln koche, noch einen Film sehe oder ins Bett gehe oder ob ich den Bus nehme oder aufs Fahrrad zu steige. Heute ist es dies und an einem anderen Tag das andere.
Oder trifft man Entscheidungen am Ende wie beim Zielen mit einem Pfeil auf eine Scheibe?
Ich ziele auf etwas ab und dann schaue ich, was und wo ich getroffen habe und was die Bedeutung davon sein mag. Je klarer mein Ziel ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit ins Schwarze zu treffen.
Und wenn ich gar kein Ziel habe, kann es im besten Falle noch ein Glückstreffer werden oder im schlimmsten Fall auch mal völlig daneben liegen. Wobei, wie kann ich daneben liegen, wenn ich kein definiertes Ziel hatte? Gut, vielleicht erkenne ich das am Schlamassel, am verursachten Scherbenhaufen oder schlicht an meiner Unzufriedenheit. Aber der Glückstreffer, der bringt vielleicht etwas hervor, das ich mir nie als Ziel hätte vorstellen können, geschweige denn es treffen. Und dann ist es doch gut, wenn man eine Entscheidung treffen kann, einfach so aus Versehen.
Im englischen wird „treffen“ in beiderlei Sinne mit zwei unterschiedlichen Worten (meet/ hit) übersetzt und keines von beiden verwenden sie in Bezug auf Entscheidungen.
Im englischen „macht“ man eine Entscheidung (to make a decision). Das klingt für mich zumindest nach viel Eigenverantwortung, Selbstgestaltung und handfester Arbeit dahinter. Ich mache meine Entscheidung selbst, ganz so, wie sie mir gefällt.
Ich entscheide auch woraus sie gemacht ist, wie sie aussieht, wie sie aufgebaut ist und was ich dafür brauche, um sie machen zu können. Ich forme und gestalte sie, ganz wie ich sie mag und wie ich sie mir taugt.
Im Deutschen können wir aber auch Entscheidungen „fällen“. Da steckt für mich die Wutkraft drin, die Kraft des präzise geführten Schwerthiebs. Dieser steht für Klarheit. Ich habe eine Entscheidung gefällt, heißt, ich habe im Vorfeld abgewägt, ob es besser ist, den Schnitt an dieser Kante oder in jenem Winkel anzusetzen. Ich habe mir bewusst gemacht, welche Konsequenten die gefällte Entscheidung mit sich bringt, was sie in ihrem Umfeld auslöst und verändert. Ich wäge gegebenenfalls auch Risiken und Gefahren ab. Und wenn ich sie fälle, dann fällt der Baum in eine bestimmte Richtung. Mit Getöse folgt er der Schwerkraft, donnert auf den Boden und wirkt. Und ja, wenn die Entscheidung gefällt ist, mag es mit Spänen, Scherben und Toden einhergehen. Das Schwert der Klarheit fällt und formt: etwas fällt weg, wird geopfert und stirbt vielleicht auch. Oder es bleibt dort und findet keine weitere Beachtung mehr von mir. Das andere — mit klaren Linien und Struktur — wird mitgenommen, vielleicht auch präsentiert.
Doch sind gefällte Entscheidungen wirklich so unwiderruflich wie ein gefällter Baum? Oder kann man nicht doch erneut durch den Wald streunen und sehen, ob man nicht noch die ein oder andere — bessere — Entscheidung unterwegs trifft?
Zu einer Entscheidung “komme“. Das erscheint mir plausibel. Um zu einer Entscheidung zu kommen, muss ich wissen, wo sie zu finden ist. Ich treffe sie nicht einfach zufällig oder werde von ihr erblickt und in Beschlag genommen.
Ich kenne sie und ihr Umfeld im Großen und Ganzen und komme gezielt hin zu ihr. Vielleicht hat sie mich einbestellt oder ich tauche ohne Ankündigung auf. Vielleicht haben wir auch etwas ausgemacht. Unter Umständen haben wir uns gemeinsam etwas vorgenommen. Wie auch immer, alles weist auf eine Vorgeschichte hin.
Im spanischen hingegen „nimmt“ man eine Entscheidung (tomar una decisión).
Schön. Man hat dies und das im Angebot, bekommt dieses oder jenes angeboten, schmackhaft gemacht und dann nimmt man es sich einfach.
Man nimmt was man möchte. Oder braucht. Oder haben sollte. Oder nicht haben sollte, aber will. Oder einfach haben muss. Der Fokus liegt mehr darauf, weshalb eine Entscheidung her soll, damit man weiß, was man nehmen soll. Aber irgendwie steckt auch eine Begrenzung dahinter. Was nicht da ist, kann ich nicht nehmen. Oder ich muss dafür sorgen, dass das, was ich nehmen möchte, auch da ist. Hier kommen wieder Handlungsspielraum und Verantwortung mit ins Spiel.
Ja – und dann ist das Nehmen doch auch wieder gar nicht so leicht.
Vivian Dittmar schreibt in ihrem Buch „Das innere Navi“, dass Entscheidungen „geschehen“ können. Sie bezieht sich darauf, dass neben der Ratio auch andere Denkdisziplinen von uns gehört, ernst genommen und einbezogen werden möchten beim Entscheiden, nämlich die Intuition und die Weisheit des Herzens. Tatsächlich hält sie Ratio für keinen besonders guten Ratgeber bei vielen Arten von Entscheidungen, da die meisten Entscheidungen eben gar nicht rational getroffen werden oder auch gar nicht getroffen werden können. Oft merken wir nur nicht, dass wir sie nicht rational getroffen haben. Was wir aber sehr wohl merken ist, dass wir unzufrieden sind oder sogar im Schlamassel stecken.
Geschehen – das klingt einfach. Wenn etwas einfach geschieht, so suggeriert mir das Wort, muss ich rein gar nichts dafür tun. Es passiert einfach. Doch ist es wirklich so einfach?
Ich glaube nicht. Viel mehr haben wir in unserem System schon sehr viel Informationen auf unterschiedlichen Kanälen gesammelt, damit auf dieser Basis eine unbewusste Entscheidung entstehen kann. Diese gilt es dann entweder in sich wahrzunehmen oder sie aufzuspüren.
Bist Du entschieden? Darin steckt das „sein“. Ich BIN etwas, da ist etwas in einem drin bzw. IST man etwa. Aber was? Ist es ein Gefühl? Eine Empfindung, eine innere Stimme, ein Gedanke? Was steckt da drin in mir, dass ich entschieden SEIN kann?
Beim „entschieden sein“ mache ich jedenfalls nichts mit der Entscheidung, ich treffe sie nicht, ich fälle sie nicht, ich finde sie nicht. Sondern etwas ist in mir passiert, dass ich das, was die Entscheidung ist, bin.
Hast Du Dich entschieden? Darin steckt das „haben“. Ich habe also eine Entscheidung. Weiß der Kuckuck wie die zu mir gekommen ist, aber jetzt scheine ich sie einfach zu haben.
Nun möchte ich einen Bogen schlagen zu unserer Suche nach einem Leben mit Freiraum. Wie sind wir zu unseren Entscheidungen gelangt?
Wieso ist nun Mexico das Land unserer Wahl?
Das stand doch noch nicht mal auf der Liste, als wir Ende 2018 losgezogen sind, um unseren neuen Lebensraum ausfindig zu machen!!
Und wie kam es denn überhaupt dazu, dass wir auswandern wollten!?!
Angefangen hat es damit, dass wir beide gerade nicht arbeiten mussten/ wollten und während dieser Auszeit eine Weile in einer großen Lebensgemeinschaft in Deutschland (ZEGG) zugebracht haben — zum Lernen, Erfahren, Verändern.
Der Gedanke einer gemeinsamen Weltreise stand schon länger im Raum. In der ZEGG-Kneipe haben wir den Atlas dort aus dem Bücherregal gewälzt und hin und wieder Zufallsspielchen gespielt. Einer blättert durch, der andere sagt stopp, einer gleitet mit dem Finger über die aufgeschlagene Seite, der andere sagt stopp. Dann die Frage, ob das unsere Reiseziel sein könnte. Die Motivation, die aus dem Zufall resultierenden Orte zu besuchen war, gelinde gesagt, gering. Also taten wir es auch nicht.
Dann gab es die Möglichkeit bei einem Fundraising für das ZEGG einen Aufenthalt in einer Community auf Big Island, Hawaii zu ersteigern. Wir haben uns angesehen und gemeldet und den Zuschlag bekommen. Irgendwie hat uns diese Entscheidung „überrannt“, obwohl wir ja selbsttätig die Hand gehoben, uns also für das Angebot aktiv entschieden zu haben scheinen.
Damit war dann der Start oder Endpunkt unserer Weltreise gesetzt.
Im Nachhinein hat sich Hawaii nicht wirklich als gute Position für weitere Länderplanung erwiesen, da es doch wesentlich weiter von wirklich ALLEM weg ist, als ich mir das hätte vorstellen können. Es gab dann die Möglichkeit über Japan oder über die USA dort hin zu fliegen. Obwohl mich Japan unglaublich interessiert hätte, war unsere Entscheidung auf die USA gefallen. Entschieden hat zum einen mein Geldbeutel — Japan hätte das Budget gesprengt … hätte ich damals mal schon das Preislevel von Hawaii gekannt … — zum anderen ich selbst: ich wollte unbedingt wieder nach Südamerika. Das hatte ich zum damaligen Zeitpunkt viel weniger bereist als Asien. Also basierte die Entscheidung auf einer Mischung aus Mangel und Neugier.
Rückblickend ist oft gar nicht mehr klar, wann oder gar wie unsere Entscheidungen gefallen sind. Meine Ausgangsposition war erst mal nur „Unzufriedenheit im aktuellen Zustand mit dem Unwissen, wie es anders gehen könnte“. Klar war: ich will Kunst machen! Aber nicht zu dem Preis, wie er derzeit und auch jetzt noch, in Deutschland zu bezahlen ist. Doch was musste passieren, dass in mir eine andere Entscheidung fallen kann?
Ich erinnere ich mich noch an zwei maßgebliche Punkte:
Zum einen war ich in Nicaragua auf Circus Island und konnte sehen, dass es möglich ist, Künstleroasen zu schaffen, die finanzierbar sind und das Interesse daran groß ist. In mein System hat sich also die Gewissheit der Machbarkeit einnisten können. Zuvor waren es nur Träume einer schönen Vision, die auf unsicheren Beinen stand. Diese Machbarkeit zu sehen und vor allem mitzuerleben, gekoppelt mit meinem ausgeprägten inspirativen Denken, hat eine neue Idee erschaffen. Auf meine Leidenschaften und Kompetenzen ausgelegt und dennoch nah genug an dem erlebten Projekt, wurde eine Realisierung überhaupt erst denkbar für mich. Und nicht nur das, die Idee wurde attraktiv und meine Gedanken strickten Konzepte, um es auch Schritt für Schritt umsetzen zu können.
Der Gedanke, auszuwandern und ein neues Leben, weit weg von Deutschland war zum ersten Mal denkbar. Auch wenn Europa immer mal wieder im Hinterkopf aufpoppte.
Was davor noch aufgrund von Sprachbarrieren und fehlenden Kunstförderprogrammen undenkbar war, hat sich einen Weg gebahnt, der zum ersten mal für mich Sinn ergeben hat.
Frank und ich gingen also mit der Idee schwanger, wie es wäre auszuwandern, wo das sein könnte und wie wir uns das jeweils vorstellen würden. Was wollen wir beide zusammen machen, was unabhängig voneinander und wie kriegen wir das zusammen und auf solide Füße? Ist die Idee vom Auswandern tatsächlich eine echte Möglichkeit für uns beide — ja oder nein? Noch auf unserer Reise wollte und musste ich darauf schnell eine Antwort haben. Denn exakt jetzt war der Moment, wo ich hätte anfangen müssen Projektanträge zu schreiben, sollte ich in mein altes Leben zurück müssen.
Denn eines war klar, bevor ich Kellnern gehe in Deutschland, mache ich lieber Projekte die das Land will für wenig Geld zu schlechten Bedingungen. Auch wenn ich mich grundsätzlich eben GEGEN diese Form des Kunstschaffens entschieden hatte. Denn das ist noch einmal ein ganz anderer Aspekt. Hat man erst mal eine klare Entscheidung getroffen, kann man sie gleich und unabhängig umsetzen? In dem Fall waren es viele kleine Schnitte und zahlreiche weitere Entscheidungen, die sich aus eben dieser großen Entscheidung ergaben.
Frank war in seiner Entscheidungsnotwendigkeit jedoch gar nicht in Bedrängnis.
Ich erinnere mich noch an dieses Gespräch. Wir saßen auf einem Stein auf der Insel Ometepe auf dem Nicaraguasee und warteten auf den Bus. Und ich machte ihm klar, warum ich jetzt wissen müsse, ob er sich das vorstellen kann oder nicht. Oder wir das tun wollten oder eben nicht. Ich erinnere mich auch daran, dass eben dort keine Entscheidung gefallen ist. Und ich erinnere mich überhaupt nicht daran, dass diesbezüglich jemals eine Entscheidung getroffen wurde.
Woran ich mich jedoch sehr gut erinnere ist, dass Frank auf Hawaii recherchiert hat, welche Länder für ganzjährige Selbstversorgung in Frage kämen und wo gleichzeitig eine unbefristete Einwanderung überhaupt möglich ist und ob wir beide die Kriterien erfüllen können. Damit ist unser Lieblingsland — Thailand — auch schon raus gewesen. Dafür hätten wir Rentner und über 55 Jahre alt sein müssen. Solange wollten wir dann doch nicht warten. Machmal wird halt auch für uns entschieden.
Da uns Hawaii in vielerlei Hinsicht nicht gefallen hat, haben wir die sehr klare Entscheidung gefällt, dass wir den Aufenthalt früher als geplant abbrechen, die Flüge umbuchen, unsere Reise jedoch verlängern und sind spontan nach Malaysia geflogen. Zu dem Zeitpunkt war auch schon klar, dass wir erneut Reisen werden, dieses Mal mit dem Fokus, wo wir uns niederlassen wollen. Doch wo in Gottes Namen war diese Entscheidung hergekommen? Und seit wann war sie denn da? Wie kam es dazu? Also gefällt oder gemacht wurde sie jedenfalls nicht. Sie hat sich eher „ergeben“, durch viele „andere Dinge, die wir gemacht haben“. Davon reden, davon träumen, gezielt zu recherchieren und Informationen zu sammeln und sich verschiedene Szenarien ausmalen, Argumente für das eine oder andere austauschen hat wohl zu dem von Vivian Dittmar beschriebenen „geschehen“ einer Entscheidung geführt.
Wir sind also nach Malaysia geflogen, da es so ziemlich das einzige asiatische Land war, das klimatisch und einwanderungstechnisch übrig geblieben ist. Ich bin ja auch nach wie vor noch Asienfan — die Mentalität, das Kulinarische, der Sinn für Ästhetik. Da alle anderen in Frage kommenden Länder in Süd- bzw.Lateinamerika lagen, schien uns das pragmatisch zu sein, Asien noch in diesem Reisezyklus mitzunehmen.
In dem Fall haben wir es abgecheckt und ausgemustert. Der Clash von unserem Motto „Auf der Suche nach einem Leben mit Freiraum“ auf eine muslimisch stark geprägten Kultur, war dann doch zu groß. Und so entschieden wir, die Suche nach einem neuen Heim auf Süd- und Lateinamerika beschränken.
Aber zuvor ging es zurück nach Deutschland. Ein halbes Jahr lang haben wir Vorkehrungen getroffen, um uns von möglichst viel zu befreien: von Handy – und Versicherungsverträge, Möbel und Geschirr, Bücher und Cds, Kleidung, Besitztümer aller Art. Ebenso vom geschäftlichen Hab und Gut sowie den Verbindlichkeiten. Bis wir frei waren, selbst von Krankenversicherung, Unternehmensleitung und dem Dasein als Einwohner Deutschlands.
Wir haben so viel wie möglich über die einzelnen Länder Süd- und Lateinamerikas versucht herauszufinden. Klima, Sicherheit, Einwanderungsbedingungen, BIP, Bildung, Vegetation, Tiere, politische Haltung, Traditionen um nur einiges zu nennen. Ein weiterer Punkt war, ob es dort bereits nachhaltig lebende Gemeinschaften gibt — also wo finden wir schon einige Gleichgesinnte?
Am Ende kam eine Liste von 5 Ländern heraus, wie im ersten Blogartikel ja zu lesen ist:
Guatemala – Panama – Costa Rica – Ecuador – Peru
Mexiko stand nicht auf der Liste. Interessante Kultur, interessantes Klima, viel zu gefährlich, zumindest laut dem Auswärtigen Amt in Deutschland und den gängigen Medien.
Wir haben in Guatemala anfangen, da ich dort Communities gefunden hatte, die ich aufgrund ihres künstlerischen Schwerpunktes interessant fand, die mich eingeladen haben dort zu arbeiten und weil die Flüge dahin vergleichsweise preiswert waren. Von dort wollten wir uns dann auf dem Landweg Richtung Süden zu den anderen Länder der Liste aufmachen. Doch dazu kam es nicht.
Alles in allem war Guatemala ein Graus für uns. Nicht mal ansatzweise das, was wir gesucht haben. Und dennoch war Guatemala ein Ort, wo wir wortwörtlich Entscheidungen gefunden haben und eine Basis für weitere Entscheidungen geschaffen wurde.
So wurde ein für alle Mal geklärt, dass in meiner zukünftigen Arbeit nicht in erster Linie die Kunst in die Gemeinschaft und das Kollektive einfließen wird, sondern das kollektive und gemeinschaftliche in meine Arbeitsweise beim Kunst erschaffen.
Das Beobachten und Auswerten der besuchten Communities und ihr Umgang mit den Locals hat sehr klar geschärft, wie wir selbst das zukünftig handhaben wollen — und vor allem auch, wie nicht.
Außerdem sind wir vielen Reisenden begegnet, die immer und immer wieder gesagt haben, was ihr sucht, findet ihr in Mexiko. In Chiapas oder Oaxaca. Frank war skeptisch. Ich dachte, warum nicht, das grenzt ja direkt an Guatemala, was haben wir schon zu verlieren? Und allesamt haben uns versichert, dass es dort nicht gefährlich ist, die Leute sehr nett sind und was über Mexiko gesagt und geschrieben wird, sich nicht auf diese Regionen bezieht. Nach knapp 7 Wochen Guatemala sind wir also nicht wie geplant nach Panama gereist — davon wurde uns von vielen Reisenden eher abgeraten; unspektakulär, langweilig — sondern nach Mexiko. Nach knapp zwei Monaten dort haben wir die Gemeinschaft Inla Kesh und dadurch die Gegend um Nuevo Paraiso kennengelernt. Eine Gegend die alle von uns gefilterten Kriterien erfüllt: klimatisch, sicher, ein Überfluss an Trinkwasser und wunderschön. Einen Monat später haben wir Las Naranjas angeschaut — ein 82 Hektar großes Flusstal, mit 2 km Fluss durch das Land, 2 Trinkwasserbächen, Dschungel, ebenes Land für Häuser und fruchtbarem Boden.
Wieder einen Monat später, nachdem wir noch andere Regionen bereist hatten, haben wir uns um den Kauf bemüht. Ich wollte vorher unbedingt noch andere Grundstücke sehen, weil es sich für mich komisch angefühlt hätte, nur ein einziges Stück Land angeschaut zu haben und das gleich zu kaufen. Frank hat sehr intensiv Klimazonen ausgecheckt. Dadurch wurde sehr viel ausgesiebt im trockenen, oft wüstenartigen Mexiko. Für ihn waren viele Gegeneden zu heiß, andere für mich zu kalt und — da ist Mexiko dann doch auch Mexiko — es waren prinzipiell gut geeignet Regionen zu gefährlich. In Vera Cruz gibt es eine klimatisch perfekte Gegend, die von Drogenbaronen beherrscht wird. Da will man sich dann doch nicht unbedingt einnisten.
Viel Zeit und Mühe wurde also in Information für eine Entscheidungsgrundlage gesteckt.
Andere Optionen sollten eine Vergleichbarkeit schaffen.
Und dann war es auf einmal einfach. Verschlungene Wege und der Zufall haben uns letztendlich zugespielt und dazu geführt, dass wir entschieden waren und es noch sind. Wir wollen Las Naranjas in Mexiko kaufen. Doch diese Entscheidung soll uns noch viele Male auf die Probe stellen.
Inzwischen ist es nun schon ein ganzes Jahr, in dem wir uns bemühen, das Land legal und abgesichert zu kaufen. Der Prozess geht mit vielen Höhen und Tiefen einher. Er verlangte schon sehr viel Geduld und hat uns Lehrgeld gekostet. Wir haben Korruption und die Duldung dieser erfahren und auch die Machtlosigkeit diesbezüglich gespürt.
Und wir haben von Las Naranjas auch schon Abschied genommen und uns nach einer weiteren Suchphase erneut für dieses herrliche Stück Land entschieden. Trotz der damit einhergehenden Widerstände, die vor allem bürokratischer Art sind, was beim Kauf von Land in Mexiko jedoch auch nichts außergewöhnliches, in unsere Fall jedoch aus mehreren unterschiedlichen Gründen besonders verschärft ist.
Jedoch die Art der Menschen, die Projekte, die wir besucht haben, die Freundschaften die wir sehr schnell geschlossen haben und für mich auch die einfache und sympathische Vernetzung mit der professionellen Tanzszene haben dazu geführt, dass schon sehr schnell klar war, Mexiko soll es sein, ob wir Las Naranjas nun bekommen oder nicht.
Für mich fühlt es sich eher so an, dass Mexiko uns gefunden, ja, sich vielleicht sogar für uns entschieden hat und gar nicht umgekehrt.
Und so sind wir, trotz Unsicherheit, ob wir Las Naranjas bekommen werden, nach Deutschland zurück, um dort unsere Dauervisum für Mexiko zu beantragen, die nicht mehr benötigten Sachen vollends aufzulösen und sind mit dem dann noch verbliebenen Hab und Gut von 5 Kisten, drei Koffern und einem Fahrrad im letzten noch möglichen Moment nach Mexiko rein gewitscht. Es war inzwischen März 2020, Corona hat viele Grenzen geschlossen und Flüge gestrichen. Wir mussten sehr schnell eine Entscheidung treffen. Halt nein, das stimmt nicht. Wir mussten einfach nur sehr schnell handeln. Wir hätten uns lieber etwas gemütlicher und behutsamer von Familie und Freunden verabschiedet. Doch war die Situation, also stünden wir zwar vor der richtigen Tür, diese jedoch war im Begriff sich zu schließen. Wir waren in Deutschland und sind im letzten Moment noch durch den Spalt gehuscht. Und das war eben tatsächlich keine Frage von entscheiden. Ob mit oder ohne Corona – Mexiko ist eindeutig unser neues Zuhause. Wann diese Entscheidung geschehen ist? Irgendwann zwischen den herzlichen Gesprächen mit unseren mexikanischen Freunden und den lustigen Badeerlebnissen im Fluss auf Las Naranjas.